Forensik Haina Tagesordnug Verstoß gegen das Maßregelvollzugsgesetz
08.02.2014 17:32
Bei kleinster Regelverletzung: ab in den Bunker«
Strafen und Überwachen in der Psychiatrie der Vitos-Kliniken Gießen und Haina. Ein Gespräch mit Dennis Stephan
Interview: Gitta DüperthalDennis Stephan ist Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Kreistag Gießen
Nach einem Schwelbrand in Ihrer Wohnung hat man Ihnen »schwere Brandstiftung« vorgeworfen und Sie in die Psychiatrie gesperrt. Außerdem stehen Sie deshalb seit Monaten vor dem Landgericht Gießen (jW berichtete). Wie haben Sie Ihren Aufenthalt in den Vitos-Kliniken erlebt?
Vier Monate in Häusern des hessischen Klinikkonzerns, in Haina und Gießen, zubringen zu müssen, ist eine Strafe. Mit der Einweisung in die geschlossene Psychiatrie ist eine massive Einschränkung der Grundrechte verbunden. Es gibt zwei Formen der Unterbringung. Erstens: die gemeinschaftliche mit etwa 16 Leuten auf dem Flur mit einer Stunde Hofgang pro Tag. Zweitens: Du verbringst deinen Tag 23 Stunden isoliert in der Einzelzelle; Kontakt nur zur Tabletten- oder Essensausgabe. »Eigentlich haben Sie hier nur das Recht auf eine gesicherte Einzelzelle«, hat mir ein Stationsleiter in Haina gesagt. Das Leben in Gemeinschaft ist also bereits ein Zugeständnis. Es findet dort ein Zurichten auf gewisse Abläufe im Alltag statt, an die man sich zu halten hat. Schon bei der kleinsten Regelüberschreitung kann es heißen: ab in den Bunker. In der Vitos-Klinik in Gießen ist dieser eine gekachelte Zelle mit angeschraubtem Tisch und Stuhl, Gummimatratze und Klo, Tag und Nacht grell beleuchtet und videoüberwacht. Beim Hainaer Bunker – ohne Kamera – besteht außerdem das Problem, daß es passieren kann, daß keiner kommt, wenn man sich in medizinischer Notlage befindet und deshalb klingelt. Keiner der anderen Gefangenen darf dort mit dir in Kontakt treten: Ruft dir etwa jemand im Flur durch die verschlossene Tür »Hallo« zu, riskiert er, selbst in Isolationshaft zu landen.Welche Regelverstöße können zu dieser Sanktion führen?
Jede Form des Widerspruchs: Wirst du morgens um halb sieben zur Medikamentenausgabe geweckt und sagst: »Ich nehme sie nicht«, kann allein das schon zur Einzelunterbringung führen. Anderes Beispiel: Ich war mit meiner Vorsorgebevollmächtigten verabredet. Sie wollte mich um 17 Uhr anrufen. Weil Wärter mich fünf Minuten zuvor wegschließen wollten und auf meine Bitte abzuwarten nicht reagierten, weigerte ich mich mitzugehen und setzte mich auf den Boden. Ich landete im Bunker. Ein Mitgefangener wurde sogar nur deshalb drei Tage lang von der Gemeinschaft isoliert, weil er die Verbringung eines anderen in den »Bunker« gesehen hatte und daraufhin seine Angst äußerte.Gibt es Maßnahmen, die den Alltag strukturieren sollen, tatsächlich aber die persönliche Freiheit einschränken?
Ja, zum Beispiel die »Arbeitstherapie«. Ich nenne es Ausbeutung, wenn Gefangene für einen Stundenlohn von 35 Cent bis zwei Euro irgendwelche Dinge zusammenschrauben müssen. Für andere, die gerade keine Arbeit haben, heißt es: Daß du dich aufs Bett legst, ist unerwünscht. Nun könnte man sagen: Dann setze ich mich halt hin und lese ein Buch. Um aber eines aus der Bibliothek zu erhalten, mußt du erst einen Antrag stellen, der einmal in der Woche dem Oberarzt vorgelegt wird. Klappt das aus irgendwelchen Gründen nicht, heißt es: »Dann stellen Sie ihn halt erneut.« Mir ist es in vier Monaten nicht gelungen, eines zu bekommen. Gustl Mollath, in Bayern sieben Jahre lang unschuldig in die Psychiatrie gesperrt, hat im TV-Interview gesagt: »Sie haben nicht einmal einen Bleistift, um etwas aufzuschreiben.« Beantragt werden muß die Fernbedienung für das Fernsehen, ein Telefongespräch ist anzumelden. Für jede Kleinigkeit ist bürokratischer Aufwand nötig.Was haben Sie persönlich als besondere Härte empfunden?
Die Entscheidung, ob du wieder auf freien Fuß kommst, ist unabhängig vom dir vorgeworfenen Delikt. Gewertet wird einzig das Wohlverhalten in der Klinik – worüber der Psychiater und die Klinikleitung selbstherrlich entscheiden können. Die Gefangenen in der geschlossenen Abteilung werden beschönigend »Patienten« genannt. Meiner Einschätzung nach ist etwa die Hälfte der Insassen weder psychisch krank noch wegen schwerer Verbrechen als gefährlich zu bezeichnen. Von einigen weiß ich, daß ihnen Widerstand gegen die Polizei vorgeworfen wurde.Dienstag, 8 bis 11.30 Uhr Verhandlung vor dem Landgericht Gießen, Ostanlage 15, anschließend Protestgang gegen